Die Jagd der Henker Thriller von J.P. Conrad
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Und wenn sie dich gefunden haben ...
Gracie führt ein beinahe unsichtbares Leben. Sie arbeitet als Aushilfe in einem Blumenladen, hat keine Freunde und meidet Beziehungen. Ihr Alltag ist von Angst bestimmt, denn sie bewahrt ein dunkles Geheimnis.
Als sie ihren Job wechseln will, setzt Gracie eine Kette von fatalen Ereignissen in Gang, die nicht nur ihr eigenes Leben in tödliche Gefahr bringen ...
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Prolog
Der Einkaufswagen vibrierte durch das vordere linke Rad, das sich wie ein Brummkreisel drehte. Kiana nahm keine Notiz davon; sie wollte nur so schnell wie möglich wieder raus aus diesem Baumarkt. Um zu erledigen, was zu erledigen war. Um die Vergangenheit buchstäblich zu begraben. Sie hatte das Gefühl, von den um diese frühe Zeit nur wenigen Besuchern des Marktes argwöhnisch beobachtet zu werden. Aber das war ein Trugschluss. Auch wenn sie den Wagen mit recht schnellen Schritten zu ihrem ersten Ziel schob, war sie doch anonym und beinahe unsichtbar. Und das war gut; unsichtbar sein. Eine kleine graue Maus, die niemand beachtet; das war es, was sie künftig sein musste.
Sie hielt an und schaute in den Gang hinein: Da hingen die Schaufeln; sorgfältig nach Form und Größe aufgereiht standen Sie mit dem Blech nach oben an der Wand. Der Preis war ihr in diesem Moment völlig egal; sie hatte genug Geld. Die richtige Größe musste sie haben, damit sie das Ding leicht benutzen konnte. Sie nahm sich eine Schaufel mit Holzgriff und grünem, spitz zulaufenden Blatt vom Haken und schaute nach links und rechts. Es war niemand zu sehen. Prüfend vollführte sie ein paar Schaufelbewegungen, um die Länge des Stiels auf Tauglichkeit zu testen. Dabei fragte sie sich, ob es überhaupt Sinn machte; schließlich würde sie das Ding nur ein einziges Mal benutzen.
»Guten Morgen!«
Erschrocken fuhr sie herum. Vor ihr stand ein junger Mann, höchstens ein, zwei Jahre älter als sie, im schwarz-orangefarbenen Outfit des Baumarkts gekleidet.
»Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
Kiana war, als hätte gerade jemand einen Schalter umgelegt und sie nun ins grelle Scheinwerferlicht gestellt; sichtbar für alle. »Nein, danke«, antwortete sie und versuchte sich an einem freundlich wirkenden Lächeln, das ihre Nervosität überdecken sollte. »Ich habe schon gefunden, was ich suche!«
Der Baumarktangestellte, dessen Name laut dem Aufnäher auf seiner Brust Jacob war, nickte in Richtung der Schaufel in ihrer Hand. »Die ist gut! So eine habe ich auch Zuhause!«, sagte er und lächelte ebenfalls. Dabei kaute er deutlich wahrnehmbar auf seinem Kaugummi.
Kiana musste sich ein Augenrollen verkneifen. »Schön.« Sie schwang die Schaufel so dicht über den Jungen in den Wagen, dass er reflexartig den Kopf einzog. »Ich muss jetzt weiter!«
»Wenn Sie noch etwas brauchen, zeige ich Ihnen gerne, wo...«
»Nicht nötig«, unterbrach sie ihn. »Ich kann lesen!« Sie deutete auf die seitlich von den Regalreihen abstehenden Schilder und setzte dann den Wagen wieder in Bewegung. Es war eine Anmache, ganz klar. Sie kannte so etwas, hatte es schon dutzende Male erlebt. Kiana wusste, wie ihr wohlgeformtes Gesicht und der ganze Rest auf Männer wirkten. Im Nachhinein betrachtet, war es ihr mehr lästig, als nützlich gewesen. Und gerade jetzt konnte sie so etwas überhaupt nicht gebrauchen. Sie dachte an ihr Auto auf dem Parkplatz. Sie wollte, so schnell es ging, wieder dorthin zurückkehren und dann weiterfahren. Die Schaufel hatte sie nun. Was brauchte sie noch? Müllsäcke! Aber eins nach dem anderen, Kiana! Sie hatte sich fest vorgenommen, durch den kombinierten Kauf von Schaufel und Müllsäcken nicht unnötig aufzufallen; alle Menschen schauten Krimis und dort machten sich die Mörder doch auf genau diese Weise verdächtig. Nein, sie wollte noch zwei drei weitere Gartengeräte mitnehmen; eine Harke, eine Gartenschere und was ihr sonst noch als Tarnung nützlich erschien.
An der Kasse legte sie die Sachen, ihrer Meinung nach so unverdächtig, wie möglich, nacheinander auf das Band. Gerade, als sie das letzte Teil, die Gartenschere, aus dem Wagen nahm und hochsah, fiel ihr Blick an der Kasse vorbei, durch die große Glasfront des Baumarkts, auf den Parkplatz. Sie hielt inne und schluckte. Vier Personen standen genau vor Kianas Toyota und diskutierten. Ein schlecht rasierter Mann in einem fleckigen weißen Maleranzug ging in die Hocke und fuhr mit der Hand über die rückwärtige Stoßstange.
Von einem Klappern begleitet, fiel die Gartenschere auf den Boden, was mit einem geringschätzigen Blick der übergewichtigen Kassiererin bedacht wurde.
»Entschuldigung«, murmelte Kiana nervös, bückte sich nach der Schere und legte sie aufs Band. Ein letztes Mal piepte der Scanner, während Kiana das Geschehen draußen verfolgte. Inzwischen waren es fünf Personen; drei Männer und zwei Frauen. Einer war Angestellter des Baumarkts, ein anderer trug eine weiße Küchenschürze und schien zu dem nahegelegenen Imbiss zu gehören. Die Frauen waren augenscheinlich Kundinnen. Kianas Magen verkrampfte sich. Was passierte da? War etwa jetzt schon alles vorbei? Hatte sie einen Fehler gemacht? Alles drängte sie, so schnell, wie möglich zu ihrem Wagen zu kommen.
»Macht achtundvierzig neunundsechzig«, raunte die Kassiererin.
Mit zitternden Händen fischte Kiana ihre Geldbörse aus der Jackentasche.
»Ist was nicht in Ordnung?«
Sie fuhr herum. »Was?«
Es war wieder der junge Angestellte, Jacob. »Sie sehen blass aus. Ist Ihnen nicht gut? Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«
Die Kassiererin grunzte abfällig. Ohne Zweifel war auch ihr der Übereifer des jungen Mannes etwas zu viel des Guten.
Kiana fluchte. Hatte sie sich so schwer unter Kontrolle? »Nein, danke. Alles in Ordnung. Ich habe es nur etwas eilig.« Sie fischte eine 50-Pfund-Note aus der Geldbörse und knallte sie auf das Band.
»In bar?«, brummte die Kassiererin argwöhnisch.
Kianas Stirn legte sich in Falten, Jacob kam neugierig ein paar Schritte näher. »Ist Barzahlung bei Ihnen nicht möglich?« Ihre Stimme vibrierte, doch ihre Verärgerung überspielte die Nervosität. Immer wieder schielte sie kurz über ihre linke Schulter, um zu sehen, was da auf dem Parkplatz vor sich ging. Doch jetzt versperrte ihr ein Handwerker in einem Blaumann die Sicht; genauer die großen Spanplatten, die er in einem Wagen vor sich herschob.
»Natürlich können Sie bar zahlen«, sagte die Kassiererin.
»Also, dann bitte!« Kiana war durchaus bewusst, dass Barzahlung in vielen Geschäften, insbesondere auch Baumärkten, inzwischen eher die Ausnahme bildete. Man zückte einfach seine Plastikkarte. In ihrem Fall war das allerdings wenig ratsam. Sie würde sie nie wieder benutzen können.
»Darf ich Ihnen die Sachen zum Auto bringen?«, bot Jacob an.
»Der Wagen schafft das schon!« Mit diesen Worten hatte sie das letzte Utensil in den Metallkorb gelegt und schob den Einkaufswagen an.
»Halt!«
Sie stoppte abrupt. Mit einem mehr als dicken Kloß im Hals drehte sie sich um. Jacob kam noch etwas näher. Er nahm das Wechselgeld vom Band und hielt es ihr hin.
»Das haben Sie vergessen!«
In diesem Moment war Kiana versucht, ›Stimmt so!‹ zu sagen, aber mit einem derart hohen Trinkgeld, noch dazu an einer Baumarktkasse, hätte sie sich nur noch verdächtiger gemacht, als ohnehin schon. »Danke«, sagte sie, beinahe kleinlaut, und ließ die Scheine und Münzen einfach in ihre Jackentasche gleiten.
Als sie sich mit dem Einkaufswagen wieder in Bewegung setzte, gab endlich der Spanplatten-Kerl den Blick auf den Parkplatz frei. Einer der Männer, es war derjenige, der die Stoßstange abgetastet hatte, stand mit in die Hüften gestemmten Armen da und schien nach etwas Ausschau zu halten. Oder jemandem.
Während Kiana hastig auf den Ausgang zusteuerte, hörte sie im Hintergrund noch die Kassiererin sagen: »Du Gartenabteilung-Don-Juan, kümmere dich mal mehr um die Arbeit als um die weiblichen Kunden!«
Kiana schob den Wagen, so schnell sie konnte. Das kaputte Rad schüttelte ihn kräftig durch, die Schaufel und die anderen Einkäufe tanzten auf und ab und klapperten laut.
»Guten Tag«, begrüßte sie der Mann im Maleranzug mit einer Mischung aus Verlegenheit und Erleichterung, als sie sich ihrem Auto näherte. »Ist das Ihrer?« Er deutete auf den Toyota. Sie schluckte; gerade wurde sie von fünf Augenpaaren angestarrt. Was konnte sie jetzt sagen, außer die Wahrheit? »Ja. Ist was nicht in Ordnung?« Sie sah nach unten und begriff nun, was los war: Die silbern lackierte Stoßstange aus Kunststoff hatte einen etwa zwanzig Zentimeter langen Kratzer.
»Es tut mir so leid, ich bin mit meinem Anhänger rückwärts gefahren und habe sie gestreift.« Der Mann, Kiana schätzte ihn auf Mitte zwanzig, zeigte auf die Parkreihe hinter sich; sie war für lange Fahrzeuge und solche mit Anhänger vorgesehen. Auf einem der Plätze stand ein weißer, bis oben hin mit Baumaterial beladener Pritschenwagen mit der Aufschrift eines Renovierungsbetriebes aus Glossop. An ihm war ein recht runtergekommener Anhänger befestigt, auf dem Farbeimer standen.
»Und mich auch!«, kommentierte eine der beiden Frauen abfällig. Kiana erkannte, dass auch der weiße Range Rover auf dem Nebenplatz an der Stoßstangenecke verschrammt war.
»Ich bin Zeuge«, meldete sich der Imbiss-Mann mit erhobenem Zeigefinger. Er hatte eine äußerst kratzige Stimme.
Kiana wurde schwindelig. Das alles konnte sie jetzt nicht gebrauchen!
»Ich habe schon die Polizei gerufen, nur, damit alles seine Ordnung hat«, erklärte der Handwerker bemüht. »Ich hatte nur ein Versicherungskärtchen, das habe ich schon der Dame gegeben.« Er zeigte dezent auf die andere Geschädigte, eine Frau jenseits der fünfzig. Dass sie gut situiert war, wurde einem schnell deutlich: Sie trug einen olivfarbenen Steppblazer über einer weißen Hose, teure Schuhe und überall funkelte goldener Schmuck. Ihr etwas zu künstlich gebräuntes Gesicht, das eine Hakennase zierte, zeigte deutliche Verärgerung. »Wann kommen die denn endlich?«, fragte sie voller Ungeduld und schaute auf die goldene Uhr an ihrem Handgelenk. Im nächsten Moment schlug sie andeutungsweise die Hand vor die Stirn und drehte sich zu der anderen Frau, die nicht minder wohlhabend aussah, um. »Gott, George wird mich umbringen!«
»Komm, er wird schon nicht schimpfen!«, versuchte sie, ihre Freundin zu beruhigen. »Außerdem hat er doch den Gärtner gefeuert.«
»Ich hätte die Buchsbäume aber auch liefern lassen können!«
Kiana sah, dass der Kofferraum des ebenfalls beschädigten, wuchtigen Geländewagens, mit eben diesen Pflanzen vollgestellt war.
Noch immer hielt sich Kiana am Einkaufswagen fest; ihre Finger verkrampften sich um den Bügel. Wie sollte sie die Sachen jetzt unbemerkt einladen? Sie konnte sie ja schlecht auf den Rücksitz packen. Oder doch? Aber was würde passieren, wenn die Polizei käme? Die würde ihre Daten aufnehmen und auch das Kennzeichen. Das Kennzeichen! Oh, mein Gott! Es würde sicher nur ein paar Sekunden dauern, bis die Beamten feststellten, dass Fahrzeug und Nummernschild nicht zusammengehörten. »Ist doch nichts weiter passiert«, sagte sie, ohne vorher nachzudenken. »Ich habe es auch ein bisschen eilig!« Sie schob den Einkaufwagen noch etwas näher an den Toyota heran.
»Tss«, pfiff die Buchsbaum-Käuferin abfällig durch die unnatürlich weißen Zähne. »Denken Sie, wir nicht?«
»George wird sauer oder auch nicht, entweder gleich oder später.« Kiana war für ihre spitze Zunge berüchtigt, doch jetzt biss sie sich auf die Lippen.
»Es tut mir alles so leid«, ging der Handwerker schlichtend dazwischen. »Normalerweise macht das mein Chef. Ich habe mit Anhänger fahren keine Übung.«
Buchsbaum verdrehte die Augen. »Na, bravo!«
»Geben Sie mir doch einfach ihre Kontaktdaten und wir regeln das später!«, schlug Kiana vor.
»Sie haben wohl auch einen George zuhause, was?«
Kiana ignorierte den Buchsbaum. Sie hatte jetzt andere Probleme. Wie konnte sie diesem Albtraum entkommen? Ihre Gedanken kreisten nur um den Inhalt ihres Kofferraums und die geklauten Kennzeichen.
»Da kommen sie!«, sagte der Imbiss-Mann und deutete die viel befahrene Hauptstraße hinunter.
Kiana fuhr herum. In einiger Entfernung erkannte sie einen Streifenwagen; er kam aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens durch die Pendler nur langsam voran.
»Ich halte das für absolut übertrieben!«, schimpfte der Buchsbaum.
»Ja, ich auch«, pflichtete Kiana ihr, wenn auch widerstrebend, bei. »Wir haben doch alle schon genug Zeit verloren. Und es sind doch nur ein paar Kratzer.«
Dem Handwerker stand der Stress im Gesicht. »Ich habe meinen Chef nicht erreicht. Aber das ist erst meine zweite Woche in dem Betrieb und ich will keinen Fehler machen.«
Kianas fiebriger Blick haftete an dem Polizeiauto, das sich weiter langsam der Zufahrt zum Baumarkt-Parkplatz näherte. Sie musste hier weg; ihr Auto musste weg; sofort!
»Hören Sie«, sagte sie, so ruhig, wie es ihr möglich war, an den jungen Handwerker gewandt. »Es ist meine Entscheidung, mein Wagen und mein Kratzer. Und ich sage: Es stört mich nicht!« Sie schob den Einkaufswagen bis zur hinteren linken Tür des Toyota, holte mit ihrer schweißnassen Hand den Schlüssel aus der Jackentasche und entriegelte das Fahrzeug. »Ich muss jetzt los!« Energisch drängte sie sich am Buchsbaum vorbei und öffnete die Tür.
»Sind Sie vielleicht auf der Flucht oder so?«, fragte die Frau argwöhnisch.
Kiana schluckte und fühlte sich ertappt. Wie Recht sie doch mit dieser unbedarften Frage hatte.
»Das ist aber auch ein Verkehr heute.« Mit in die Hüften gestemmten Armen beobachtete der Imbiss-Mann die Straße und den Streifenwagen; er war nur noch gut fünfzig Meter von der Einfahrt entfernt.
Hektisch lud Kiana ihre Einkäufe auf die Polster der Rückbank. Dann warf sie die Tür zu und zog den Einkaufswagen zurück.
»Es scheint fast, als hättest du Recht, Iris«, kommentierte die Freundin des Buchsbaums herablassend.
Wortlos rollte Kiana den Einkaufswagen über den Parkplatz zu seiner Station. Ihr Herz schlug dabei synchron zu den wilden Drehbewegungen des Vorderrads. Zurück am Wagen drängte sie sich zwischen dem Buchsbaum und dessen Freundin durch zur Fahrertür.
»Ein Benehmen ist das!«, hörte sie die Frau noch mit hochnäsiger Entrüstung sagen, dann knallte die Tür. Nur mit Mühe schaffte Kiana es, mit ihrem zitternden Fingern den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken. Das Starten des Motors kam ihr einer Erlösung gleich. Aber noch war die Gefahr nicht vorüber. Sie setzte den Wagen zurück; vorbei an den dummen Gesichtern des Buchsbaums und ihrer Freundin, dem Handwerker, der ihr irgendwie auch ein bisschen leidtat, und dem Imbiss-Mann, der sich gerade eine Zigarette anzündete. Dieser machte eine Winkbewegung in Richtung der Einfahrt. Kiana wendete und gab dann so abrupt Gas, dass die Schaufel vom Rücksitz in den Fußraum fiel. Genau auf Höhe der Parkplatzzufahrt begegneten sich Toyota und Streifenwagen. Die beiden uniformierten Beamten nahmen glücklicherweise keinerlei Notiz von ihr. Kiana konnte nur hoffen, dass keine der Personen, die noch immer dort auf dem Parkplatz standen, ihr Kennzeichen notiert hatte. Oder, dass sie zumindest, bis man nach dem Wagen fahnden würde, weit genug weg war.