Aufgefressen Thriller von J.P. Conrad
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Im Keller einer Londoner Grundschule werden die Leichen von zwei Frauen und einem Mann gefunden, deren
Gesichter entsetzlich mit Säure entstellt wurden.
Skandalreporter Jack Calhey recherchiert, ausgestattet mit Insider-Informationen seines Kontakts bei
Scotland Yard, die Hintergründe dieses grausamen Verbrechens: Wer waren die drei Opfer? Welche
Verbindung existierte zwischen ihnen? Und was bedeuten die merkwürdigen Nachrichten, die der Mörder am
Tatort hinterließ?
Durch Zufall stößt Jack auf eine Spur, die ihn dem ›Säurekiller‹ näher bringt, als ihm lieb ist. Und
der hat sein Werk längst noch nicht vollendet…
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Prolog
Loise erhielt einen kräftigen Hieb gegen die Brust; den ersten an diesem Tag. Er nahm ihr die Luft.
»Du bist so was von ungeschickt!«, polterte ihr Mann aufgebracht und stapfte in seinen ausgetretenen Hausschlappen zur Kammer. Er kam mit Schaufel und Besen zurück.
»Feg es auf!«, befahl er und drückte ihr mit einem kurzen, harten Blick die Reinigungsutensilien in die Hand. Dann setzte er sich wieder an den Küchentisch, um weiter in seiner Morgenzeitung zu lesen.
Loise blieb einen Moment benommen stehen. Er hatte es wieder getan; sie geschlagen und gedemütigt. Dabei war er es gewesen, der die Kaffeebüchse vom Tisch geschubst hatte, nicht sie; und das mit voller Absicht. Aber das war im Grunde egal. In diesem Hause hatte nur einer Recht, und das war Herman. Sie wusste, dass er diesen Kick brauchte; so wie andere Sport trieben, Alkohol tranken oder Drogen nahmen, um sich gut zu fühlen.
Resignierend begab sich Loise in die Hocke und fegte lethargisch das braune Pulver zu einem Haufen zusammen. Früher hatte sie in solchen Momenten angefangen zu weinen. Aber das tat sie schon lange nicht mehr. Wie in einer ›normalen‹ Ehe, in der sich irgendwann die Routine einstellte, so hatte sich auch ihre, in jeder Hinsicht schmerzvolle Beziehung, im Laufe der letzten fünf Jahre entwickelt. Aber ihre Routine bestand darin, dass ihr jähzorniger Ehemann Herman sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit schikanierte und in vielen Fällen auch vor physischer Gewalt nicht zurückschreckte. Wenn dies passierte, verhielt sich Loise immer gleich: Sie nahm es hin, schluckte ihren Frust und ihre Verzweiflung trocken herunter und machte dann einfach weiter.
Es war nicht immer so gewesen; ganz im Gegenteil. Als Loise Herman kennen gelernt hatte, war er sehr charmant, witzig und liebevoll gewesen. Auch noch in den zwei Jahren, die sie verlobt waren und ebenfalls in den ersten Ehejahren. Doch dann war mit Hermans Karriere als Versicherungsmakler auch sein Charakter den Bach runter gegangen. Immer öfter war er mit schlechten Tagesabschlüssen und dementsprechend mieser Laune nach Hause gekommen. Loise, wie der Fels in der Brandung fest an ihrem Mann glaubend, hatte immer zu ihm gehalten, ihn aufgemuntert und alles getan, was eine gute Ehefrau nur hatte tun können. Aber es war am Ende vergebens gewesen. Irgendwann hatte er in einem Streit das erste Mal die Hand gegen sie erhoben. Und er hatte Gefallen daran gefunden.
Herman schlug Loise nie so, dass sie äußerliche Blessuren davontrug. Nein, denn er war nicht nur jähzornig, sondern auch clever. Und er wusste, dass sie ihn niemals verlassen oder ihn bei der Polizei anzeigen würde. Dafür hatte er sie viel zu sehr eingeschüchtert und ihr mit schmerzvollen Konsequenzen gedroht. Und außerdem, das erschreckte sie neben den Beschimpfungen und Schlägen am meisten, liebte sie ihn nach wie vor. Und das wusste auch Herman. Sie war sich darüber im Klaren, dass es ganz und gar falsch war, für dieses Monster noch Gefühle zu haben. Aber es war so. Sie hatte sogar einmal in der Stadtbibliothek etwas darüber gelesen. Es war keineswegs ungewöhnlich, was ihr widerfuhr; sie war nicht verrückt oder abnorm. Nur helfen konnte ihr diese Erkenntnis nicht. Sie saß in einer mehr als heimtückischen Falle aus biederem Wohlstand, Liebe und Gewalt gefangen. Trotz alledem hatte sie ihre Verzweiflung nie über die Türschwelle ihres kleinen Reihenhauses getragen. Sie hatte sie zuhause gelassen, wenn sie zur Arbeit, in den Kindergarten gegangen war. Der Kindergarten war ihre Zuflucht, ihre Burg gewesen. Mit den Kindern als die Ritter, die sie verteidigten. Loise liebte Kinder über alles und ihr Job als Betreuerin machte ihr viel Freude. Die Arbeit bot ihr einen friedlichen Gegenpol zu der häuslichen Gewalt durch ihren Mann. Die dunklen Gedanken, die sie so oft hatte, wurden durch sie zu einer honigsüß duftenden Wolke aus Zuckerwatte.
Aber seit einigen Tagen bemerkte Loise mit Sorge, dass ihr das nicht mehr reichte. Ein Kinderlachen hatte plötzlich nicht mehr den Wert, die dunklen Gedanken aufzuwiegen. Es fiel ihr immer schwerer, einfach nur den Schalter umzulegen, ihr freundliches Gesicht aufzusetzen und mit den Kindern zu spielen, wie sie es so lange getan hatte. Aggressionen hatten sich in ihr aufgestaut; Aggressionen, die wesentlich mehr waren, als nur dunkle Gedanken, die sie hätte ignorieren können.
Es gab keine Ablenkung mehr von ihnen. Loise wusste, dass der Druck, der sich in ihr schleichend langsam aufbaute, irgendwann entweichen musste; das Ventil musste geöffnet werden. Aber wie? Natürlich wäre Herman, in dem sie auch die Ursache all ihrer Aggressionen vermutete, das naheliegende Ziel gewesen. Aber das ging nicht. Dafür hatte sie, auch wenn sie es sich nur ungern selbst eingestand, zu viel Angst vor ihm und den Konsequenzen, die ihr gedroht hätten; allen voran, ihn zu verlieren.
Sieh es ein, du bist eine schwache, armselige Kuh, dachte sie bei sich, während sie ins Leere starrte.
Jemand legte ihr sanft die Hand auf die Schulter und sie fuhr erschrocken hoch.
»Loise, alles klar?«, fragte Lucinda und lächelte sie an.
Mit einem Mal war Loise wieder im Hier und Jetzt, hörte das Lachen der Kinder und das Klirren des Geschirrs. Sie saßen im Kindergarten mit ihrer Gruppe um den niedrigen Tisch herum beim Frühstück.
»Ja, alles in Ordnung. Ich bin nur etwas müde heute«, spielte sie ihren Gemütszustand herunter.
»Schlecht geschlafen?«
Loise nickte nur stumm und sah dann in die Runde. Die Kleinen hatten ihr Obst aufgegessen und ihren Tee getrunken.
»So, Kinder«, sagte sie und zeitgleich mit einem Händeklatschen setzte sie wieder ihr fröhliches Gesicht auf. »Räumt bitte alle eure Tassen und Teller auf die Tabletts.«
Loise und Lucinda gaben den Kleinen Hilfestellung. Es waren fünf Tabletts mit dreckigem Geschirr; Lucinda nahm zwei davon und ging in die Küche. Loise folgte ihr mit zwei weiteren.
»Ich räume sie schon ein«, sagte Lucinda und begann, die Teller und Tassen in den Geschirrspüler zu laden.
Loise ging wieder zurück in den Gruppenraum, um das letzte Tablett zu holen. Als sie dort ankam, sah sie, wie ein kleiner Junge eben dieses Tablett, das noch mit aufgetürmten kleinen Tassen und Tellern zum Abräumen bereit auf dem niedrigen Tisch stand, zu sich heranzog. Er zog daran, bis es nach einer halben Drehung mit einem lauten Klirren vor ihm auf den Boden krachte. Mehrere Tassen zerbrachen, andere rollten davon und Reste des Tees flossen über die Holzdielen.
Es war genau dieser eine Moment, der Loise dazu brachte, ihr Ventil zu öffnen. Ohne darüber nachzudenken, stürzte sie zu dem Jungen, packte ihn fest am Arm, riss ihn nach oben und zog ihn dann von den anderen Kindern weg in Richtung der Schlafstube. Es ging so schnell, dass der Kleine nicht einmal Gelegenheit hatte, zu schreien. Dann hatte sie auch schon die Tür hinter sich geschlossen.
Lucinda hockte vor der geöffneten Spülmaschine und wartete. Sie rieb sich den Tee an ihren Fingern mit einem Spültuch trocken und verzog dann ungeduldig das Gesicht. Loise kam nicht. Sie seufzte und erhob sich aus ihrer Hocke.
Loise, Schätzchen. Wo bleibst du denn? Sie ging in den Gruppenraum, um das letzte Tablett selbst zu holen. Sie fand es auf dem Kopf liegend, mit den Tassen, Tellern und Scherben auf dem Boden verteilt und einigen Kindern, die wie aufgescheuchte Hühner wild umherliefen. Aber das taten sie oft, wenn sie keine konkrete Aufgabe hatten. Von ihrer Kollegin war allerdings nichts zu sehen.
»Loise?«, rief Lucinda und ging sofort zurück in die Küche, um Schaufel und Besen zu holen. Sie dachte sich nichts dabei. Entweder war Loise mit einem Kind auf die Toilette gegangen oder eines der Kleinen hatte sich tatsächlich verletzt, als das Tablett runtergefallen war, und sie holte gerade den Erste-Hilfe-Kasten. Als Lucinda mit Besen und Kehrblech bewaffnet wieder zurückkam, war alles unverändert.
»Passt auf Kinder, tretet etwas zurück!«, sagte sie und ging auf die Knie, um die Scherben aufzusammeln. Plötzlich hörte sie einen spitzen Schrei. Den eines Kindes. Sie fuhr erschrocken hoch. Er war aus dem Schlafraum gekommen. Lucinda wusste sofort, dass dieser Schrei nicht von einer kleinen Schnittwunde herrühren konnte. Es war ein durchdringender, von Angst erfüllter Schrei gewesen.
»Loise?« Sie stand auf und lief schnell, mit pochendem Herzen, zur Tür des Schlafraums. Als sie sie öffnete und sah, was sich dahinter abspielte, umklammerte sie unwillkürlich fest das kleine Kruzifix, das an ihrem Hals hing.
VII.
Wie der geölte Blitz lief Jack zum Friedhofseingang, der sich direkt an die Auffahrt anschloss. Was der Alte dachte, falls er ihn gesehen hatte, war ihm egal. Dies war ein öffentlicher Friedhof und er war ein Besucher. Er ging eben lieber dorthin, wenn nicht so viel los war; zum Beispiel bei schlechtem Wetter.
Der Friedhof war zwar nicht allzu groß, aber Jack hatte keine Ahnung, wo er nach dem Grab suchen sollte. Durch den starken Regen, den der Wind ihm direkt entgegenblies, konnte er die meiste Zeit nur auf den aufgeschwemmten Kiesweg unter seinen Füßen starren. Ab und zu sah er blinzelnd auf und schaute nach den Grabsteinen. Nichts Auffälliges war zu entdecken. Er lief weiter, um mehrere Ecken, und versuchte, in möglichst kurzer Zeit alle Wege des Areals abzugehen. Jack spürte, wie das Regenwasser langsam in seine Turnschuhe stieg und seine Socken durchnässte. Morgen würde er sicher eine Erkältung haben. Aber das wäre es ihm wert gewesen, wenn er dafür wenigstens den Namen der Person, deren Grab verunstaltet worden war, kennen würde.
Erneut erhellte ein mächtiger Blitz die Umgebung, begleitet von ohrenbetäubendem Donner.
Jack hielt inne. Hatte sich da nicht gerade was bewegt? Ihm war, als hätte er jemanden an der Mauer entlang huschen sehen.
»Quatsch, doch nicht bei dem Dreckwetter.«
Sein Blick blieb an einem seltsamen Gebilde hängen, das dort direkt an der Friedhofsmauer stand. Er lief näher heran und erkannte, dass es ein Absperrband war, das an vier Stahlpfeilern im Rechteck um eine Grabstelle herum gespannt war. Es flatterte heftig im Wind.
Jack schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete voraus. Anders, als er zunächst vermutet hatte, war es kein frisches Grab: Es war von einer wadenhohen Hecke eingerahmt und mit weißem Zierkies bedeckt. In der Mitte stand eine steinerne Blumenschale. Die Stiefmütterchen darin krümmten sich unter der Last der Wassermassen. Jack richtete den Lichtstrahl seiner Lampe ans Kopfende. Bingo!
Dort stand das schwarz verkohlte, hölzerne Grabkreuz. Jack atmete erleichtert auf; er hatte doch noch Glück gehabt. Die Polizeimeldung war korrekt gewesen: Der oder die Täter mussten es angezündet, aber bald wieder gelöscht haben. Ansonsten wäre es wohl völlig abgebrannt gewesen. Die mit Kreide geschriebenen Zahlen waren natürlich nicht mehr zu lesen. Dafür aber glaubte Jack zu erkennen, dass die ins Holz eingelassenen Buchstaben und Zahlen – Name und Sterbedatum – noch erkennbar waren. Er trat etwas näher heran, ging in die Hocke und richtete seine Lampe direkt auf das Kreuz.
LOISE FREDERICKS
1938 – 2003
Er hämmerte sich den Namen wie mit einem Meißel auf einer Schiefertafel in sein Gehirn.
Mission erfolgreich! Mit einem Gefühl der Zufriedenheit richtete er sich wieder auf. In dieser Sekunde, nahezu zeitgleich mit einem weiteren Blitzschlag, spürte er, wie sich jemand schnell von hinten näherte. Gerade als Jack sich umdrehen wollte, erhielt er einen festen und sehr schmerzhaften Schlag gegen seinen Schädel, der ihm sofort alle Sinne raubte.